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Stadt Duisburg (Archiv 2014/15)

 


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Grafik Rathaus mit Wappen Duisburg und Logo Archiv

 


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Feature

Die Currywurst kommt aus Holland

(Ein Video von TV Rekord)


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Das Wunder von Marxloh:

„Wer hier keine Freunde findet, ist selber schuld“

 

Duisburg-Marxloh. Alte, verkommen wirkende Zechenhäuser schmiegen sich aneinander. Von der Industrie geprägt. Renovierungsbedarf auf dem ersten Blick erkennbar? In denen kein Deutscher wohnen würde. Stattdessen türkische Mitbürger, die kaum Deutsch sprechen. Paradebeispiel für misslungene Integration. Kein Wunder, das hier ein Kriminalitäts-Schwerpunkt ist. So jedenfalls glauben einige Bürger, sieht es in Duisburg-Marxloh aus. Eine jedoch ist angetreten gegen die vielen Vorurteile: Die Markthändlerin Lydia Windrich, aufgewachsen am ländlichen Niederrhein. Beliebtes Ausflugsziel des Ruhrgebiets. Doch dahin will sie nicht mehr zurück. „Für mich ist Marxloh das schönste Wohngebiet“, sagt sie. Wohl vor allem wegen ihrer vielen türkischen Freunde dort. Ist es also doch nicht überraschend, dass hier das „Wunder von Marxloh“ geschah? Denn beim Bau der bislang größten deutschen Moschee kam es kaum zu Protesten der Bevölkerung.

Text und Bilder: Dietmar Alexy


Reportage

 

Deutscher Bergarbeiter gibt seinem türkischen Kumpel die Hand.

„Jeder wird hier freundlich bedient“, steht in schwarzen Lettern auf dem Pappschild an ihrem Stand am Marxloher Johannesmarkt. „Nur keine Rassisten“.

Seit 25 Jahren steht sie dort, trotzt Wind und Wetter, verkauft Süßigkeiten an ihre überwiegend türkischen Kunden. Im Schatten eines Bunkers aus dem zweiten Weltkrieg, heute eine Heimat für Kulturschaffende. Genauso schön renoviert wie Vieles in Marxloh. Die alten Zechenhäuser alle von innen, viele auch von außen. Fast scheint es so, als wäre für Lydia Windrich der Kontakt zu den türkischen Kunden wichtiger als ihr Geschäft. Fast für jeden hat sie ein freundliches Wort, bespricht manchmal auch Privates.

Markthändlerin Lydia Windrich (links) spricht mit ihrem türkischen Bekannten Ibrahim Kartal und seiner Lebensgefährtin Sabine Hoster über die vermeintlichen „Sprachbarrieren“.

Markthändlerin Lydia Windrich (links) spricht mit ihrem türkischen Bekannten Ibrahim Kartal und seiner Lebensgefährtin Sabine Hoster über die vermeintlichen „Sprachbarrieren“.

Zu Ihren Freunden zählt auch das Ehepaar Savas. Hüseyin Savas lebt nun schon seit 1971 in Duisburg. „Wir sind hier fest angewurzelt. Einen alten Baum versetzt man nicht mehr“, sagt der heute fast 70-jährige. Er interessiert sich für die Duisburger Stadtgeschichte, engagiert sich sozial. Müßig zu erwähnen, dass er hervorragend Deutsch spricht.


Eltern zahlen teure Kurse

Doch wie sieht es umgekehrt aus? „In der Nähe von Alanya besteht eine deutsche Kolonie. Die meisten von Ihnen sprechen kein Türkisch und bleiben nur unter sich“, schildert ein anderer Kunde Lydia Windrichs, der türkische Migrant Ibrahim Kartal. Sein Vater hingegen hatte für ihn sogar einen 1 500 DM teuren Deutschkurs bezahlt, obwohl er nur 700 DM verdiente. Seine Lebensgefährtin, die Juristin Sabine Hoster, belegte sogar einen fünfmonatigen Türkischkurs in Izmir. „Ich wollte das Gefühl des Fremdseins überwinden“, schilderte sie ihre Motive. „So wird aus Herrn Demircan der Herr Schmied.“

Und doch: Da gibt es immer noch Bürger im Duisburger Norden, die sich vor den türkischen Mitbürgern fürchten. Busfahrer haben Angst vor der Nachtschicht. Immer wieder werden Sie von aggressiven Jugendlichen bedroht. Einige – oder gar viele – Migranten? Da die Duisburger Polizei keine Statistiken über den Ausländeranteil der aggressiven Jugendlichen führt, lässt sich aber nicht mit Sicherheit sagen, ob ihr Anteil wirklich größer ist. Sollte es aber so sein, wäre das kein Wunder. Denn: Noch immer werden türkische Mitbürger bei Bewerbungen diskriminiert.

Thomas Nagel von der Duisburger Polizei nennt ein Beispiel: „Ein 17-jähriger Migrant mit gutem Realschulabschluss bewirbt sich als Kfz-Mechaniker und kommt noch nicht mal bis zum Vorstellungsgespräch.“ Wie soll es da erst den 50 Prozent ohne Schulabschluss ergehen? Wenn der türkische Anteil an aggressiven Jugendlichen also tatsächlich höher wäre, würden also paradoxerweise ausgerechnet diejenigen, die Vorurteile gegen sie haben, kriminelle Jugendliche produzieren.


Faule Gerüchte

Doch stimmen denn die Gerüchte eines Einzelnen, dass die vielen Brautgeschäfte in Marxloh sich gar nicht lohnen könnten und nur der Geldwäsche dienten? Doch von dieser Geldwäsche hat der Leiter der Marxloher Polizei-Wache, Ralf Werner, „noch nie etwas gehört.“ – „Auch im Internet macht der Bürger Stimmung gegen die türkische Bevölkerung“, ereifert sich Lydia Windrich. „Ich weiß, wer er ist“. So behauptet der Mann: Man könne abends in Marxloh nicht sicher über die Straße gehen.

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Ein Schmuckkästchen ist dieses Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, auf das die Marxloherin Lydia Windrich verweist.

Zugegeben, etwas dunkel und trostlos sieht es dort nachts schon aus. Schließlich investieren die Politiker lieber in andere Stadtteile. Bis eines Tages die türkische Bevölkerung auch das Wahlrecht bekommt. Doch der Kontaktbeamte für muslimische Institutionen, Jürgen Kiskemper, erzählt: „Eine Presseberichterstatterin nahm sich mal ein Zimmer in der Stadtmitte, weil es doch in Marxloh so gefährlich sei. Aber ausgerechnet in der Innenstadt ist die Kriminalität am größten.“ Und keineswegs in Marxloh.

Junge Mädchen aus der Türkei lächeln in die Kamera

Das moderne Marxloh: Junge Migrantinnen im vermeintlichen „Problembezirk“.

Ist es also doch nicht erstaunlich, dass hier „Das Wunder von Marxloh“ passierte? Dass es anders als in Köln-Ehrenfeld und in Berlin-Pankow kaum Proteste der Bevölkerung beim Bau der Moschee gab? Hier wurden die deutschen Nachbarn in die Planung mit einbezogen, in vielen Beiräten bestimmten sie mit. Die positiven Aspekte der Beziehungen zwischen Christen und Muslimen bestätigt aber auch der katholische Pfarrer Michael Kemper. Nur 300 Meter lag seine frühere Kirche St. Peter von der Moschee entfernt. Da bot es sich an, gemeinsame Gottesdienste und Feste zu feiern. Er führt die Freundschaft zwischen beiden Bevölkerungsgruppen auch auf dem Bergbau zurück, der zusammenschweißte.

Ein Beispiel dafür sind zwei weitere Freunde Lydia Windrichs, die sie regelmäßig in Marxloh trifft. Nämlich der türkische Kumpel Mehmet Küççük und sein deutscher Freund Wolfgang Köhler. „Meine Familie hat geweint“, erinnert sich Mehmet Küççük an den April 1974. Ohne ein Wort Deutsch zu können, zog es ihm vom warmen Çhorum in Anatolien nach Duisburg. Von 1979 an fuhr er dann gemeinsam mit seinem deutschen Beifahrer Wolfgang Köhler die Lok. Ein Job, der wie die ganze Tätigkeit unter Tage in 1000 Metern Tiefe nicht ungefährlich ist.


Bergbau schweißt zusammen

„Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte der Türke damals seinem deutschen Kollegen. Schließlich hatte er schon zwei Jahre in seinem Heimatland die Bahn gefahren. So entstand schnell Vertrauen zwischen den Beiden. Weniger Vertrauen hatte allerdings zunächst Mehmets Ehefrau Ayşe (65) im schweren ersten Jahr der Trennung.

Denn ein Jahr war ihr Mann alleine in Deutschland. „Ich hatte Angst, ihn zu verlieren“, erinnert sie sich. „Schließlich war er jung und gut aussehend.“ Sie beschrieb Ihre Gefühle in Gedichten, in denen sie auch die Erinnerung an ihr Heimatdorf verarbeitete. Dieses anatolische Dorf kennt auch Wolfgang Köhler. „Es ist in Türkei bekannt wegen des Anbaus von Kichererbsen“, erzählt er.

„Tomaten, Zwiebel und Reis wachsen dort auf den Hängen. Aprikosen- und Birnenbäume spenden Schatten. Der totale Gegenentwurf zum städtischen, von der Industrie geprägten Marxloh. Immerhin ist ein Kohlebergwerk in der Nähe. Dort lernte Mehmet Küççük. „Doch er wollte etwas anschaffen“, erzählt sein Freund. „Und deutsche Firmen warben damals an“.

Mit der Hilfe eines Plans von Mehmet stand er dann bei der Familie seines Freundes vor der Tür. „Zunächst waren Sie erschreckt, wer denn der Fremde war. Doch als ich Grüße von Mehmet überbrachte, wurde ich behandelt wie ein König. Rund um die Uhr hat man sich um mich gekümmert, mir fehlte es an nichts.“ Was der Gang in eine fremde Gegend bedeutet, weiß Wolfgang Köhler selber am besten. Schließlich stammt er aus einer Flüchtlingsfamilie aus Oberschlesien, nach dem Krieg zog sein Vater öfter mit ihm um.


Besucher aus der ganzen Welt

Dafür war Duisburg dann eigentlich ein typischer Ort. Schließlich gibt es dort nicht nur Deutsche und Türken, sondern um die 100 Kulturen. „5000 Besucher“ aus der ganzen Welt nennt die Merkez-Moschee. Jung und alt, Muslime und Christen, einfache Bürger ebenso wie prominente Politiker. Auch viele kritische Fragen begegnen die Verantwortlichen mit Gelassenheit. Sie versuchen Konfrontationen zu vermeiden.

Die Begegnungsstätte fördert eine zweisprachige Erziehung und bietet Integrationskurse für Migranten an, zu denen natürlich auch Deutschkurse gehören. Neben alltäglichen Dingen wie Einkaufen und Wohnen, Arbeit, Kindererziehung sowie soziale Kontakte lernen sie natürlich auch Grundlegendes zur deutschen Gesellschaftsordnung. Besonders groß ist die Nachfrage bei den Frauen.


Wenige Unterschiede der Religionen

Während Türken also deutsche Werte lernen, kennen scheinbar nur wenige Deutsche den Islam richtig. „Die Bibel, Jesus und die 10 Gebote werden ebenso im Islam erwähnt wie die jüdische Thora. Das Opferfest bezieht sich auf alle drei Religionen. Nur wer an das alles nicht glaubt, darf als Ungläubiger bezeichnet werden. Töten ist natürlich genauso verboten wie in der Bibel“, erklärt Lydia Windrich. Nachdem sie den Koran komplett durchgelesen hat. Deshalb ist es für sie auch kein Wunder, das „Heilige Kriege“ überwiegend von Ländern geführt würden, in denen viele „nicht lesen und nicht schreiben“ könnten.

Zwar sieht Pfarrer Michael Kemper einen Unterschied durch den christlichen Glauben an den dreifaltigen Gott, während Moslem und Juden nur an einen glauben. Doch betont er das „menschliche Zusammenwachsen, nicht das Trennende“. Die nach seinen Erfahrungen wenigen negativen Stimmen erklärt er so. „Ältere Menschen habe das Gefühl, hier in der Fremde zu leben. Zu sehr hat sich ihr Stadtteil in den Jahren verändert. Und die jüngeren erleben ihre türkischen Nachbarn als Konkurrenten beim Hartz IV-Bezug“.


Auch Nonnen tragen Kopftuch

Fremd ist Ihnen wohl auch das Kopftuch. Doch die türkische Geschäftsfrau Hatice Kök meint: „Warum nur fragt niemand danach, dass Nonnen ein Kopftuch tragen?“ Sie stimmt mit Lydia Windrich überein, dass die Unterschiede zwischen Deutschen und Türken künstlich geschürt würden. Nicht zuletzt durch die Politik, wie Lydia Windrich meint. Und Hatice Kök ergänzt: „Schließlich glauben wir alle an den selben Gott und nicht an verschiedene, wie manche behaupten.“ Da sie hier seit ihrem zweiten Lebensjahr und damit seit 40 Jahren lebt, sieht sie das Land als ihr eigenes. „Wieso bin ich dann einen Ausländerin?“ fragt sie. Umso schlimmer fand sie es, dass sie mal in eine Düsseldorfer Diskothek nicht eingelassen worden.

Die Geschäftsfrau Hatice Kök, die eines der vielen Geschäfte für Brautmoden führt

Nicht als Ausländerin sieht sich die Geschäftsfrau Hatice Kök, die eines der vielen Geschäfte für Brautmoden führt.

Sie führt eines der vielen türkischen Geschäfte für Brautmoden in Marxloh. Ungefähr die Hälfte ihrer Kunden sind Türken. Die Übrigen kommen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Holland, Österreich und der Schweiz. So bekannt sind die Läden. „Leider ist bei den Deutschen das Bewusstsein für Qualitätsware nicht mehr so groß wie früher“, kritisiert sie allerdings. „Wegen der Billigware aus China“, sagt sie. Schade findet sie aber auch, dass deutsche Fachgeschäfte in ihrer Nachbarschaft fehlen. Sie sind Opfer des Strukturwandels geworden. Da haben es die türkischen Geschäfte mit ihrem spezifischen Angebot für Migranten und ihrer Brautwaren-Konzentration einfacher.

Der Leiter des Stadtteilbüros Marxloh, Hartmut Eichholz,

Der Leiter des Stadtteilbüros Marxloh, Hartmut Eichholz, lobt die dortigen Netzwerke wie den „Runden Tisch“ und die „Sozialraumkonferenz“.

„Natürlich gibt es hier noch Probleme mit Leerständen“, räumt der Marxloher Stadtteil-Manager Hartmut Eichholz ein. „Durch die Entwicklung hin zu Einkaufszentren. Und eine Großstadt ohne Konflikte gibt es nicht. Das spannende an Marxloh aber ist, dass man sich trotzdem in vielen Netzwerken engagiert.“ Sie sollen bei der Bewältigung der dortigen hohen Arbeitslosigkeit helfen. „Die Verunglimpfung ist nicht real, der Stadtteil wird nur zerredet“, ergänzt der für Marxloh zuständige Hamborner Bezirksamtsleiter Jürgen Nattkamp.


Das schönste Wohngebiet

Also steht Lydia Windrich nicht alleine, für die Marxloh das schönste Wohngebiet ist. Obwohl sie früher im ländlichen Friedrichsfeld und Hünxe wohnte, will sie hier nicht mehr wegziehen. Entsetzt war sie aber, als mal ein zehnjähriges deutsches Mädchen ein türkisches Kind beschimpfte. Ihre Erfahrungen mit der türkischen Bevölkerung? „Als mir mal der Wagen direkt an der Pollmann-Ecke liegen geblieben ist, haben mir einige Türken geholfen und sofort angeschoben.“ Leider im Gegensatz zu den ebenfalls zahlreich vertretenen deutschen Bürgern.

Der Hamborner Bezirksamtsleiter Jürgen Nattkamp.

Glaubt an die Menschen im Stadtteil und ihre Chancen: Der Hamborner Bezirksamtsleiter Jürgen Nattkamp.

Wolfang Köhler meint zu den Vorbehalten einiger Landsleute: „Das ist irrational. Schließlich ist die Ausländerfeindlichkeit in Gegenden am größten, wo gar keine Ausländer sind“. Also steht Lydia Windrich nicht mit ihrer positiven Meinung zu Marxloh alleine da. „Wer hier keine Freunde findet, ist selber schuld.“ Fast wörtlich stimmt sie mit Hüseyin Savas überein: „Es kommt immer auf den Menschen an und nicht auf die Nationalität“.


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Diashow

Die Marxloher Merkez-Moschee

Fotos: Dietmar Alexy


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Feature

Die letzten Delfine – Duisburgs umstrittene Delfin-Show

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(mit freundlicher Genehmigung von zoomin.tv auf TV Rekord)


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Feature

Stars am Beckenrand – Seelöwen-Babies in Duisburg

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(mit freundlicher Genehmigung von zoomin.tv auf TV Rekord)


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